Sonntag, Januar 18

Ukraine Konflikt und Kalter Krieg mitten in München: Ein Grab polarisiert noch heute

Am 16. August 2014 ist der Fernsehjournalist Peter Scholl-Latour gestorben. Sein Grab befindet sich in Rhöndorf, auf demselben Friedhof wo auch der erste Kanzler der Bundesrepublik -Konrad Adenauer- begraben liegt. Den Friedhof habe ich 2011 bei einer Radlreise entlang der deutschen Flüsse besucht. Vom Friedhof aus hat man einen idyllischen Blick auf eine Rheinschleife. Warum er dort begraben werden wolle?, wurde Scholl-Latour gefragt: "Konzentriertes Abendland" antwortete der Journalist lapidar.
Quelle: http://www.intersciencefilm.de/archives/1832
Ich habe Scholl-Latour unheimlich gerne in Talkshows zugesehen. Seine lakonische Art, seine überraschenden historischen Einwände gepaart mit überragendem Wissen um den Nahen Osten und persönlichen Begegnungen. Immerhin hatte er als einer der wenigen Menschen alle Länder der Erde bereist ("bis auf ein paar kleine Atolle im Pazifik" so PSL). Überhaupt liebte ich seine oft völlig Mainstream-konträren Einschätzungen. Sie haben meine Meinung zum Nahen Osten und anderen Krisenherden der Welt nicht selten beeinflusst. Bis zuletzt war er mit über 90 Jahren noch journalistisch aktiv und hatte seine schwere Erkrankung erfolgreich verschleiert.

Scholl Latour verblüfft in der ARD zu Ukraine Konflikt  


So konnte man Ihn noch Mitte des Jahres bei Maischberger in einer ARD Talkshow sehen (oder bei Youtube). Es ging um den Ukraine Konflikt und die heterogenen Bevölkerungsgruppen der Ukraine. Scholl Latour mit herrlichen Bonmots. Chrustschow habe die Krim der Ukraine im Vodka-Rausch geschenkt, oder Scholl Latour hat noch Krim-Tataren in der Wehrmacht kämpfen gesehen. Nun dreht es sich um die Situation im europäischen Teil der Ukraine rund um die Stadt Lemberg (Lwiw).

Lemberg interessiert mich schon lange. Diese alte österreich-ungarische Stadt, die nach dem ersten Weltkrieg polnisch war, dann von der Wehrmacht besetzt und schliesslich sowjet-russisch wurde bevor es unter ukrainische Verwaltung kam. Gelegen im entsetzlich umkämpften Grenzgebiet der verschiedenen Einflussbereiche im zweiten Weltkrieg, geschüttelt von ethnischen Säuberungen und staatlich angeordneten Hungersnöten (Holodomor).

Peter Scholl-Latour ist bei Maischberger schon viel weiter und wie immer haben alle Mühe im zu folgen. Er spricht nun von den "alten Leuten, die noch in Lemberg leben und mit Bandera wacker gekämpft haben".

Bandera? Den Namen habe ich noch nie gehört und muss erst einmal recherchieren.

Kollaborateur oder Freiheitskämpfer?

Stephan Bandera war ein Partisan und Politiker, der vor allem die sowjetische Besatzung bekämpfte
und an eine unabhängige Westukraine dachte. Ebenso war er aber wohl auch mitverantwortlich an ethnischen Säuberungen an Juden und Kommunisten im Sinne der SS. Erst wurde er von den Polen verhaftet, dann von den Deutschen begnadigt. Bandera wurde wieder nach Lemberg verfrachtet um die Bevölkerung gegen die Russen zu mobilisieren.

Eine unabhängige Westukraine war den Deutschen dann aber doch wieder zuviel, er wurde in ein KZ gesperrt, dann wieder entlassen, und dann war es eh zu spät, weil die Rote Armee Lemberg überrannte. Ein bewegtes Leben in einer schrecklichen, schnellebigen Phase des Jahrhunderts.

War er nun Nazi, Nationalist, Separatistenführer oder einfach radikaler Politiker. Ich wage mir kein Urteil. Während er in der Ostukraine als Kollaborateur gilt, wird er im Westen des Landes als Widerstands- oder gar Freiheitskämpfer verehrt (wie von den Fans von Karparty Lwiw)


Genauere Details dieser Reizfigur könnt Ihr bei Wikipedia nachlesen. Bandera setzte sich schliesslich nach Österreich ab und wurde nach dem 2. Weltkrieg unter falschem Namen in München sesshaft. Hier glaubte er sich vor seinen russischen Verfolgern verstecken zu können.

Banderas Grab ist in München


Bei meiner Recherche kommt nun etwas erstaunliches zu Tage. Banderas Grab ist auf dem Waldfriedhof in München Grosshadern. Im letzten August wurde es von seinen Gegnern geschändet. Das fast 2m hohe Kreuz wurde umgestossen und in der Erde wurde herumgewühlt.

Quelle: http://www.fs-blog.de/index.php
Grabschändung hat -wie ich finde- immer etwas leicht perverses und ist eine sehr emotionale Art zu protestieren. Illegal ist es ohnehin. Verantwortlich waren wohl pro-russische Personen, die im Zuge der aktuellen Kämpfe in der Ukraine noch einmal auf Ihre Situation hinweisen wollen. Die Polizei hat bislang vergeblich ermittelt.  

Die ukrainischen Gemeinde in München regiert allerdings erschüttert. Bandera sein "zum zweiten mal umgebracht worden". Zum zweiten mal?

KGB schlägt 1959 in München zu


Bandera gelang es nach den Kriegswirren erfolgreich in München unterzutauchen. Dennoch können die Häscher des russischen KGBs in den 50er Jahren seinen Aufenthaltsort ermitteln. Am Eingang seines Wohhauses in der Kreittmayrstraße 7 in München-Schwabing wurde Bandera auf besonders grausame Art von KGB Agenten ermordet. Sie spritzten Ihm Zyankali ins Gesicht, woraufhin die Ärzte Ihn nicht mehr retten konnten. Das Ort des Attentats habe ich heute besucht und es war ein mulmiges Gefühl genau dort zu stehen, wo ein solcher Lebenslauf, der bis heute polarisiert, durch Agenten sein Ende fand. Eine unscheinbare Hofeinfahrt.



        

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